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Man kann der alternativen Medizin einige gravierende Vorwürfe machen, nur einen nicht: Die Entscheidung, ob Sie etwas probieren wollen oder nicht, liegt immer bei Ihnen; und in den allermeisten Fällen steht da noch ein großes Warnschild in Form Ihrer Bezahlung (vor allem, wenn es um Behandlungsmethoden geht, die nicht zu den vier Klassikern gehören).

In der regulären Medizin sieht das auf Grund Ihrer Einstellung zu deren Wissenschaftlichkeit anders aus. In den allerseltensten Fällen werden Sie, eine vom Facharzt vorgeschlagene Behandlung (oder ein von ihm verordnetes Medikament) ablehnen – weil Sie ja das Wissen, den „Durchblick“ nicht haben. Bei jedem Medikament, dass trotz aller wissenschaftlichen Forschung, Wirksamkeitsnachweis und klinischen Tests nach einer Weile wieder aus dem Verkehr gezogen werden muss – wegen gesundheitsschädigender Nebenwirkungen, weil es ganz anders wirkt als geplant oder auch wegen nachträglich festgestellter Wirkungslosigkeit, sind Sie, soweit Ihnen dieses Medikament verordnet wurde, ein Versuchskaninchen gewesen.

Bei dem kürzlich in den USA vom Markt genommenen Krebsmittel Avastin (wegen Wirkungslosigkeit und Nebenwirkungen), kostete die jährliche Behandlung pro Patient ca. 100 000 US Dollar. Hier hat die Pharmaindustrie mal kurz an den betroffenen Patienten ausprobiert, wie das Mittel wirkt, dabei die Krankenkassen geschröpft, und auf deren finanzielle – und den gesundheitlichen Kosten der Betroffenen das große Geld gemacht.

Ein weiteres Beispiel zeigt, wie schnell man zum Versuchskaninchen gemacht werden kann, und wie man dabei mit solch einem harmlosen Präparat wie einem Schmerzmittel ganz schnell zu Tode kommen kann.

„Vioxx war ein Schmerzmittel des Unternehmens Merck&Co. und wurde 1999 von der amerikanischen Arzeneimittelzulassungsbehörde FDA genehmigt. Viele Schmerzmittel können Verdauungsbeschwerden verursachen – Magen-Darm-Geschwüre und dergleichen mehr -, und man hoffte, dieses neue Medikament hätte weniger Nebenwirkungen. Dies wurde in einer Studie namens VIGOR untersucht, in deren Verlauf man Vioxx mit einem älteren Wirkstoff, Naproxen, verglich: Eine Menge Geld hing von dem Ergebnis ab, das am Ende gemischt ausfiel. Vioxx linderte zwar die Symptome von Gelenkrheumatismus nicht besser als Naproxen, reduzierte aber die Gefahr von Magen-Darm-Beschwerden um die Hälfte, eine ausgezeichnete Nachricht. Allerdings ergab sich ein erhöhtes Herzinfarktrisiko.

Als die VIGOR Studie jedoch veröffentlicht wurde, war dieses kardiovaskuläre Risiko schwer zu erkennen. es gab eine <Zwischenanalyse> für Herzinfarkte und Magen-Darm-Geschwüre, bei der Magen-Darm-Geschwüre über einen längeren Zeitraum aufgezeichnet wurden als die Herzinfarkte. In der Publikation blieb dies unerwähnt, sie übertrieb den Vorteil von Vioxx in Hinblick auf Magen-Darm-Geschwüre, während sie das erhöhte Herzinfarkt-Risiko herunterspielte. <Dieser unhaltbare Makel in der Struktur der Studie>, hieß es in einem drastischen, ungewöhnlich kritischen Leitartikel im New England Journal of Medicine, <der die Ergebnisse unweigerlich verzerren musste, wurde den Redakteuren und den akademischen Verfassern des Abschlussberichts verschwiegen.> War das ein Problem? O ja. Zum einen kam es in der Vioxx-Gruppe in dem Monat, nachdem zu zählen aufgehört hatte, zu drei zusätzlichen Herzinfarkten, während in der Naproxen-Kontrollgruppe nichts dergleichen geschah.

Ein internes Memo von Edward Scolnick, dem Forschungschef des Unternehmens, zeigt, dass Merk&Co. von diesem kardiovaskulären Risiko gewusst haben muss (…). Die erhöhte Herzinfarktrate wurde eigentlich erst von Leuten entdeckt, die die FDA-Daten prüften, was Ärzte – natürlich – eher nicht tun, wie sie bestenfalls wissenschaftliche Zeitschriftenartikel lesen. In einem Versuch, das moderat erhöhte Herzinfarkt-Risiko zu erklären, das man in den Abschlussberichten sehr wohl erkennen konnte, schlugen die Autoren die sogenannte ´Narpoxen-Hypothese` vor: Vioxx verursache keine Herzinfarkte, so ihre These, Naproxen verhindere sie. Es gibt keinerlei anerkannten Beweise dafür, dass Naproxen vor Herzinfarkten schützt. (…)

Bald kam noch mehr Ungutes zutage. Vioxx wurde 2004 vom Markt genommen; doch Experten der FDA schätzten, dass das Medikament in den fünf Jahren, in denen es auf dem Markt war, zwischen 88 000 und 139 000 Herzinfarkte verursacht hatte, von denen 30 bis 40 Prozent wahrscheinlich tödlich verliefen. Ob diese Zahl verlässlich ist, ist schwer zu sagen, doch wenn man sich ansieht, wie die Information ans Licht kam, wird klar, dass sowohl Merck&Co. als auch die FDA, nachdem die Gefahren ihnen vor Augen lagen, weitaus mehr hätten tun können, um den Schaden zu begrenzen, den das Medikament im Laufe seiner langen Lebensdauer angerichtet hatte.

In der Medizin sind Daten wichtig: Sie bedeuten Menschenleben. Merck&Co. übernimmt keine Haftung und hat den Klägern in den USA einen Vergleich von 4,85 Milliarden Dollar vorgeschlagen.“ („Die Wissenschaftslüge“; Ben Goldacre; Fischer Taschenbuch Verlag, 2.Auflage 2010; S.243-245)

Hier hat also die Firma Merck&Co., um ein paar „unangenehme“ Daten zu unterdrücken – und die Menge Geld die auf dem Spiel stand, nicht zu gefährden – das Schmerzmittel Vioxx einfach mal an weit über 100 000 Menschen ausprobiert – und dieses Ausprobieren haben leider zehntausende von ihnen nicht überlebt … so ist das nun mal mit Versuchskaninchen, die meisten überleben die Versuche nicht, die man mit ihnen anstellt. Ich möchte an dieser Stelle Ihr Augenmerk noch einmal auf den letzten Satz lenken: Als Versuchskaninchen sind Sie ein Objekt, ebenso wird der Verlust Ihrer Gesundheit „versachlicht“, nach dem Motto: “ Tut uns leid, dass wir Sie mit unserem Schmerzmittel schwer geschädigt haben (obwohl wir wussten, dass es schädigend wirkt), aber das bringen wir mit ein paar tausend Dollar wieder in Ordnung.“

Was können Sie mit Geld anfangen, wenn Sie ein kaputtes Herz haben? Na ja, Sie könnten auch noch weitermachen, bis das Schmerzmittel Sie endgültig ins Jenseits befördert, aber vorher ihre Familie anweisen, das Geld einzuklagen … vielleicht können die sich damit noch ein schönes Leben machen. OK, das hört sich verdammt zynisch an, aber das ist überhaupt noch gar nichts gegen den unmenschlichen Zynismus der wissenschaftlichen Medizin in Punkto Menschenversuche! Hier ein paar Kostproben:

1913 Das Pennsyilvania House of Representatives berichtet, dass 146 Kinder in verschiedenen Krankenhäusern in einer „wissenschaftlichen Studie“ mit Syphilis infiziert wurden; 15 Kinder am St.Vincent Krankenhaus in Philadelphia bekamen zusätzlich Tuberkulin „experimentweise“ in die Augen getropft – mehrere von ihnen blieben für den Rest ihres Lebens blind.

1932 – 72 US Public Health Service Studie in Tuskegee, in der mehr als 400 Schwarze „wissenschaftlich untersucht und beobachtet“ wurden, wie sie langsam an Syphilis zu Grunde gingen (keine Behandlung!).

1940 Ärzte in Chikago entwickeln ein Programm zur Erforschung von Malaria und deren möglicher Bekämpfung. Zu diesem Zweck infizierten sie 400 Gefangene mit Malaria, ohne deren Einverständnis und ohne sie aufzuklären womit sie infiziert worden waren.

1942 Der Harvard Biochemiker E. Cohn spritzt 64 Gefangenen in Massachussets Rinderblut – in einem von der US Navy gesponsorten „wissenschaftlichen“ Experiment.

1947 Colonel E.E. Kirkpatrick der US Atomenergie-Behörde schreibt in einem geheimen Dokument, dass die Behörde mit Menschenversuchen beginne, bei denen den menschlichen „Versuchskaninchen“ radioaktive Substanzen gespritzt würden.

1950 – 72 Geistig Behinderte Kinder an der Willowbrook Schule in New York werden mit Hepatitis infiziert, in einem „wissenschaftlichen“ Experiment zwecks Erforschung eventueller Impfstoffe. Die Zwangsinfizierung war „Aufnahmebedingung”!

1962 – 1980 Der Staat erlaubt 33 pharmazeutischen Unternehmen zwecks „wissenschaftlicher“ Forschung 153 ihrer Experimentaldrogen an den Gefängnisinsassen von Holmesburg Prison zu testen.

1976 Die National Urban League fordert auf ihrer Tagung zum Thema Menschenversuche der medizinischen Wissenschaft: „Wir wollen die Wissenschaften nicht umbringen, aber wir fordern, dass uns die Wissenschaften nicht umbringen, verstümmeln und missbrauchen.“

Die vorgestellten Fälle sind nur die Spitze eines Eisbergs (Stichwort „Menscherversuch“ bei Wikipedia; Weblinks: Human Experiments: A Chronology of Human Research by Vera Hassner Shara), aber sie sollten allemal genügen, um jeden noch selbstständig denkenden Menschen das blanke Entsetzen zu lehren.

Genieren Sie sich angesichts dieser Faktenlage da um Himmels willen nicht, wenn Sie auf Kosten der Krankenkasse mal eine homöopathische Behandlung – das versichern Ihnen sogar die einäugigen Skeptiker, ganz ohne Nebenwirkungen! – ausprobieren. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass Sie etwas probieren oder versuchen – es ist eine Menge dagegen einzuwenden, wenn Sie, ungefragt, als Versuchskaninchen missbraucht werden – und das ausschließlich in der wissenschaftlichen Medizin!

 

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