Wie gefährlich ist alternative Medizin?
22. Feb 2012 von Wolf
Ist alternative Medizin gefährlich? Auf jeden Fall bekommt man diesen Einruck, wenn man darüber bei den Skeptikern oder irgendeiner Quackwatch liest: da ist stets die Rede vom „ungeheuren Schaden“, der durch sie verursacht wird.
Nehmen wir als Beispiel die Homöopathie. Aus wissenschaftlicher Sicht ist sie wirkungslos, d.h. den größten Schaden richtet sie dadurch an, dass sie nicht wirkt. Sie gehen mit gastro-intestinalen Beschwerden (Bauchschmerzen) zum Homöopathen; die Behandlung wirkt nicht, Sie behalten Ihre Beschwerden. Gefahr droht hier keine, vor allem dann nicht, wenn Sie zuvor durch eine regulär medizinische Diagnose ausgeschlossen haben, dass es sich um eine akute, lebensbedrohende Erkrankung handelt (Magenwanddurchbruch, Krebs, usw.). Die meisten – von der wissenschaftlichen Medizin als wirkungslos abgestempelten – alternativen Behandlungsmethoden richten ihren „großen Schaden“ eben durch ihre (angebliche) Wirkungslosigkeit an.
Gefährlich wird diese Wirkungslosigkeit erst in dem Moment, wo durch sie eine lebensbedrohende Situation entsteht: Sie begeben sich mit einer akuten Lungenentzündung in homöopathische Behandlung, die, weil nach regulär-medizinischer Meinung wirkungslos, die Krankheit nicht stoppt oder heilt, sie also somit verschlechtert. Nun hat der Gesetzgeber bei solchen Fällen den großen Riegel vor das Risiko einer eventuell wirkungslosen Behandlung geschoben: ein Homöopath darf eine akute Lungenentzündung nicht behandeln (sonst macht er sich strafbar und verliert seine Lizenz), sondern muss Sie an einen Facharzt überweisen. Selbst wenn Sie es versäumt haben, Ihre Erkrankung durch eine ärztliche Diagnose zu identifizieren, muss, bei Symptomschilderung, der alternativ Behandelnde (Homöopath-Heilpraktiker) dies tun bzw. Sie daraufhin zum Facharzt überweisen.
Und dann gibt es noch den Bereich, in dem wirkliche Betrüger am Werk sind, deren Mittel unter Umständen tatsächlich gesundheitsschädigend sein können. Allerdings sind diese Betrüger allein auf ihr Geld aus – sie werden sich nur „aus Versehen“ mit dem Risiko z.B. eines toxisch wirkenden Mittels belasten – generell sind ihre Mittel einfach wirkungslos.
Den größten, gesundheitlichen Schaden richten aber nicht solche Betrüger oder alternativ Behandelnde an, sondern die reguläre, wissenschaftliche Medizin! Ganz einfach deswegen, weil es sich bei ihren Mitteln eben nicht um wirkungslose Zuckerpillen, Placebos oder sonstige Scheinpräparate handelt, sondern um Mittel, die wirken – und es passiert immer wieder, dass diese Mittel ganz anders wirken als beabsichtigt, trotz aller Doppelt-blind Versuche und allen klinischen Testreihen, trotz aller Wissenschaftlichkeit, und dann trifft es hunderte und tausende von Menschen! (Mehr dazu im Kapitel “ Vom objektiven Nutzen – und Schaden“).
Die Betrüger in der alternativen Szene haben es also auf Ihren Geldbeutel abgesehen. Bei der regulären Medizin gibt es für Sie den finanziellen Puffer in Form ihres Krankenkassenbeitrags – bei den meisten Alternativen gibt es genau den nicht, d.h. es geht Ihnen direkt an den Geldbeutel. Ein besseres Warn- bzw. Stoppschild können Sie sich gar nicht wünschen! Ich habe nicht ohne Grund die vier Klassiker unter den Alternativen herausgepickt: 1) Decken sie als Ergänzung oder Alternative zur regulären Medizin alle in Frage kommenden Bereiche ab, und 2) werden Sie hier nicht „abgezockt“, da diese Behandlungsformen teilweise oder sogar gänzlich von Ihrer Krankenkasse abgedeckt werden. Es gibt durchaus eine seriöse, alternative Medizin und ihr betrügerisches Gegenstück, die pseudoalternative Medizin.
Eine besondere Kategorie stellen all jene Betrüger dar, die sowohl auf der alternativen als auch auf der wissenschaftlichen Welle reiten. Aber – mit denen haben Sie die wenigsten Probleme, denn die finden Sie in nur einem Bereich: dem Internet. Ihr Arzt, Heilpraktiker oder Homöopath – das sind Menschen von Fleisch und Blut, mit einer Adresse in Ihrer Nähe – wenn die etwas verbocken, sind sie, in Person, belangbar. Das alleine ist ein nicht zu unterschätzender Sicherheitsfaktor für Sie. Ganz anders geht es dabei im Internet zu. Hier kann sich jeder hinter einer Maske verstecken, sich mit fremden oder frei erfundenen Federn schmücken, von der vorgetäuschten, nur auf dem Bildschirm existierenden Klinik, über frei erfundene, klinische Versuche bis hin zu ebenso frei erfundenen Leserzuschriften, ist im Internet schlechthin ALLES möglich, und hier gibt es selten jemand, den Sie anklagen bzw. dingfest machen können.
Denken Sie nach … und hoffentlich kommen Sie zu dem Schluss, von der Medizin, egal welcher couleur, im Internet die Finger zu lassen.
Bevor Sie sich jetzt, je nach Portemonnaie und Erfahrungsdrang in die alternative Szene stürzen, setzten Sie sich bitte mit der folgenden Seite auseinander: Was sind Quacksalber – und wie sind demnach Webseiten wie „Quackwatch“ oder „die Skeptiker“ zu beurteilen?
Nachtrag
Es gibt, wie bei allem, auch hier die absolut unrühmliche Ausnahme – allerdings wäre es nicht fair, sie ausschließlich der alternativen Medizin anzulasten. Aber … zuerst der Fall: Können Sie sich vorstellen, dass man Aids mit Vitaminpräparaten heilen könnte? Nein? Ich mir auch nicht. Ich könnte auch ebenso gut fragen: können Sie sich vorstellen, dass man Krebs mit Vitaminpräparaten heilen könnte? Nein? Warum nicht? Die Antwort lautet: Wenn es so einfach wäre, hätten wir schon längst keine tödlichen Krebserkrankungen mehr – und mit Aids sieht es nicht anders aus.
Jetzt wird es hanebüchen: Herr X hat Aids, aber ich sage ihm: „Aids gibt es gar nicht. Das ist eine Erfindung der Pharmaindustrie, damit die ihre teuren Medikamente gegen Aids verkaufen kann. Nein, sie sind nur total erschöpft, und dagegen hilft mein Supervitamincocktail.“ Herr X, der schon viel über die tatsächlich unglaublich schmutzigen Geschäfte der Pharmaindustrie gehört hat, glaubt mir nur allzu gerne. Herr X ist aber nur ein Einzelfall, und wenn ich nur ihm allein mein Mittelchen andrehen kann, werde ich davon nicht reich. Also muss ich die Sache anders angehen – ich will nämlich reich werden. Ich verkaufe zunächst meine Vitaminpräparate an all die Pseudowissenschaftsgläubigen, die fest davon überzeugt sind, man könne mit Pillen Probleme lösen. Keine großen Probleme, halt den alltäglichen Kleinkram: Stress, Abgeschlagenheit, Altersängste, den Körper fit halten usw. Damit kann man Geld machen, das wird mein Startkapital. Vitamine sind „in“, die Medien haben ihnen den Allheilmittelstatus verpasst – ich mache mir mit meiner Firma einen Namen, und ein paar gekaufte Gutachter sorgen für die „wissenschaftliche“ Absicherung. Und dann packt mich der Größenwahn: erstens beginne ich selber an die Allheilkraft der Vitamine, insbesondere meines Vitamincocktails, zu glauben, und zweitens werde ich das der Welt an einem echten Problem, nämlich Aids, beweisen. In den westlichen Ländern ist man mir zu kritisch, zudem liegen mittlerweile ernstzunehmende, wissenschaftliche Forschungsergebnisse vor, welche die Heilkraft der Vitamine in Frage stellen, ja, sogar deren Schädlichkeit nahelegen. Aber … in Afrika ist man bereit mir Glauben zu schenken, und das aus folgendem Grund: die westliche Pharmaindustrie weigert sich, ihre rettenden Präparate für wenig Geld (die afrikanische Bevölkerung ist alles andere als wohlhabend) in Afrika zu verkaufen (und das, obwohl sie ihre Studien und Forschung auf billigste Art mit eben diesen armen Afrikanern ausgeführt hat – nach dem Motto: als Versuchskaninchen seid ihr gut genug, aber zum Heilen nicht). Für die Afrikaner, vom weißen Mann kolonialisiert und ausgebeutet, ist das nichts neues, aber mittlerweile können sie sich wehren. Sie werden sich vom Westen und der westlichen Pharmaindustrie zu nichts zwingen lassen, und wenn sie mit Hilfe eines weißen Mannes, mit mir nämlich, den anderen weißen Männern eins auswischen können, dann … tun sie es. Und so kann ich ganz offiziell, von höchsten, politischen Kreisen abgesegnet und legitimiert, mein Vitaminpräparat als Mittel gegen Aids an die afrikanische Bevölkerung verkaufen.
Spätestens an dieser Stelle werden Sie der Meinung sein, dass ich wohl tatsächlich etwas verrückt geworden bin … hier so ein unappetitliches, widerliches Garn zu spinnen – ABER Sie täuschen sich! Alles hat, natürlich nicht mit mir, aber doch genauso stattgefunden – nachzulesen in dem Buch „Die Wissenschaftslüge“ von Ben Goldacre.
Wie ich anfangs schrieb, kann man diese Geschichte nicht der alternativen Medizin anlasten, denn Vitaminpillen haben mit ernstzunehmender, alternativer Medizin nichts oder genauso soviel wie mit wissenschaftlicher Medizin zu tun (lesen Sie dazu „Von der Lebensphilosophie – und warum es gut ist, eine zu haben“).