Wissenschaftliche Dogmatik und Intoleranz
12. Feb 2012 von Wolf
Die Dogmatik wissenschaftlichen Denkens liegt in der Natur der Sache und im Selbstverständnis der Wissenschaften. Die Wissenschaften ruhen u.a. auf Naturgesetzen wie z.B. der Schwerkraft. Ein Mensch kann hier auf Erden nicht levitieren, d.h. aus eigener Kraft schwerelos über dem Erdboden schweben, eben weil er dem Gesetz der Schwerkraft unterworfen ist. Diese Gesetzmäßigkeit lässt die Feststellung zu, dass weder in der Vergangenheit, noch der Gegenwart, noch der Zukunft je ein Mensch hier auf Erden levitiert hat bzw. jemals levitieren wird. Diese Feststellung ist ein Dogma, etwas, worüber kein Wissenschaftler „mit sich reden“ lassen kann, selbst wenn er es wollte. Er kann also – auf Grund dieses Naturgesetzes – jegliche Behauptung ein Mensch könne levitieren, nur als unsinnig abtun, oder er wird, logischerweise, eine Demonstration mit objektiv wiederholbarem Resultat fordern. Wer behauptet er könne levitieren, soll es bitte vormachen – zu wissenschaftlichen Bedingungen.
Von der Dogmatik zur Intoleranz ist es nur ein kleiner Schritt, und dieser Schritt heißt „Mensch“. Genauer gesagt betrifft es den Mr. Hide in uns, das Monster, welches, sobald es sich im Besitz allein gültiger Wahrheiten wähnt, alles andere als unwahr ablehnt, unterdrückt und, wenn möglich, verfolgt und vernichtet. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich bei diesen „Wahrheiten“ um religiöse Glaubensinhalte, bestimmte Denk- (westliche Logik) oder Sichtweisen (der weiße Mann ist allen anderen Rassen überlegen) handelt: wer diesbezüglich meint, den einzig wahren Gott, die allein gültige Denkweise oder das einzig gültige (auf die Evolutionstheorie gestützte) Recht auf seiner Seite zu haben, der ist bereits mit dem Intoleranzvirus infiziert. Wir wähnen uns dem Mittelalter entronnen, in dem andersgläubige (eben an den falschen Gott glaubende bzw. das Falsche glaubende) Menschen kurzerhand auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden; Apartheid … das war mal in Südafrika … aber täuschen wir uns nicht? Wer es heute wagt, die Wissenschaften in Frage zu stellen, ihre Alleingültigkeit bezweifelt, der wird gesellschaftlich geächtet, lächerlich oder mundtot gemacht und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt.
Die Wissenschaften sind nichts ohne die Wissenschaftler, ohne jene Menschen also, die eben diese Wissenschaften definiert, ihre Methoden und Vorgehensweise festgelegt haben – und durch sie wird aus Dogmatik Intoleranz. Diese Intoleranz fällt umso leichter, als sich die wissenschaftliche Sichtweise bereits als die allein gültige etabliert hat: wer dagegen antreten will, muss das zu wissenschaftlichen Bedingungen tun. Das erscheint uns heute so selbstverständlich, dass wir nicht eine Sekunde darüber nachdenken, aber stellen Sie sich vor, wie einem Wissenschaftler zu Mute wäre, müsste er seine Theorie zu schamanistischen Bedingungen verifizieren und dazu mit den Geistern der Anderwelt in Kontakt treten. Jetzt verstehen Sie vielleicht, wie sich ein Schamane fühlt, wenn er seine Welt zu wissenschaftlichen Bedingungen „nachweisen“ soll.
Nun sollte man meinen, dass es innerhalb der Wissenschaften sachlich-objektiv (eine Standartformel der Wissenschaften, mit der sie alles Unwissenschaftliche als unsachlich-subjektiv disqualifizieren) zugeht, und alle (wissenschaftlichen) Forscher nur ein Ziel vor Augen haben: herauszufinden und zu beweisen was „wirklich“ ist. Wer anderen predigt, sollte selber vorleben was er predigt, oder?
Weit gefehlt – auch in den eigenen Reihen feiert die Intoleranz Triumphe. Nur ein Beispiel von vielen: Der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis entdeckte 1847, dass mangelnde Hygiene in den Krankenhäusern verantwortlich für abertausende Fälle tödlichen Kindbettfiebers war. Mit einer einfachen Chlorlösung zur Desinfektion (Hände waschen) konnte er die Todesrate von 10 bis 35% auf nur 1% senken. Wie reagierten seine Kollegen darauf? Mit Hohn, Spott und völliger Ablehnung (die positivistisch eingestellten Kollegen bescheinigten ihm „spekulativen Unfug“). Der sogenannte Semmelweis Reflex beschreibt die „unmittelbare Ablehnung einer Information oder wissenschaftlichen Entdeckung ohne weitere Überlegung oder Überprüfung des Sachverhaltes“ (Wikipedia). In der Tat konnte Semmelweis einen „wissenschaftlichen“ Beweis nicht vorlegen … das gelang erst einige Dekaden später durch die Forschung von Louis Pasteurs und Joseph Lister. Die Senkung von maximal 35 % Mortalitätsrate auf nur 1% war kein Beweis!
Von der Intoleranz zum Zwang ist es oftmals nur noch ein klitzekleiner Schritt. Die Wissenschaften bzw. Wissenschaftler können normalerweise solche Zwänge nicht ausüben – die Sache sieht jedoch anders aus, wenn ihre Forschung und deren Resultate in die politisch-wirtschaftliche Maschinerie des Staates einfließen und dort umgesetzt werden. Gerade die westlichen Industrienationen sind hochgradig verwissenschaftlicht: von der Zahnpasta über das Spülmittel, von unserer Ernährung, unserer Medizin, der Technik im Alltagsbereich, dem Rechtswesen usw. sollte möglichst alles wissenschaftlich sein. Wenn wir lesen, etwas sei wissenschaftlich untersucht und produziert worden, fühlen wir uns sicher, haben wir Vertrauen – besser kann es nicht sein, denken wir. Auch wenn wir die Wissenschaften (noch) nicht wie einen Gott anbeten, so sehen wir in ihnen doch den einzig verlässlichen Führer durch diese Welt, insbesondere was deren physisch-materielle Erscheinung betrifft. Ein Führer muss das Gebiet durch welches er führen will genau kennen; er muss über seine Geschichte Bescheid wissen, seine Eigenheiten und Gefahren. Führung bedeutet u.a. Ereignisse mitsamt ihren zukünftigen Auswirkungen und Folgen im Voraus berechnen zu können, um so die Sicherheit der zu Führenden zu garantieren. Die Wissenschaften als Führer vor allem in dem Bereich des technischen Fortschritts, der mittlerweile unser alltägliches Leben auf Schritt und Tritt begleitet und … formt: ein Staudamm oder Flugzeugflügel muss so berechnet sein, dass er auch widrigstem Wetter (Turbulenzen) standhält; ein Atomkraftwerk sollte so gebaut sein, dass keine radioaktive Strahlung freigesetzt wird; die Brems- oder Lenksysteme von Fahrzeugen dürfen prinzipiell nie versagen, usw..
Wenn der Führer also meint es genau zu wissen, wird – und kann – er sich nicht von anderen drein reden lassen. In dem Moment wo sich dieser Führungsanspruch mit staatlicher Autorität oder wissenschaftlichen Interessen paart, werden aus Empfehlungen Verordnungen, aus Ratschlägen rechtlich wirksame Gutachten, aus Prognosen Gesetze, wird, wie wir alle immer wieder erfahren, die Führung erzwungen, und das mittlerweile ausnahmslos unter Berufung auf wissenschaftliche Forschung, wissenschaftliche Berechnungen, wissenschaftliche Absicherung, wissenschaftliche Gutachten, wissenschaftliche Beweise … dagegen kann der Bürger als Laie, als Nicht-Wissenschaftler, selten etwas ausrichten. Atomkraftwerke werden gebaut, in den meisten Fällen gegen den Willen der Bevölkerung – ebenso Staudämme, Industrieanlagen usw. – alles wird vom Staat, der nur allzu oft als Handlanger der Industrielobby fungiert, wissenschaftlich „abgesichert“ – und damit ist auch in einer Demokratie aller Diskussion, Demonstration oder jedem Widerstand ein Ende gesetzt.
Und wie wir ebenfalls alle wissen und erst kürzlich wieder einmal erfahren haben – Stichwort Fukushima – ist dieses blinde Vertrauen in die Wissenschaften keineswegs gerechtfertigt – zahllose Katastrophen in allen wissenschaftlichen Bereichen demonstrieren das immer wieder.
Die Problematik Wissenschaft = Vertrauen ist auch Thema eines Artikels von Marc Scheloske: „Der Tamiflu-Skandal und der Vertrauensverlust der Wissenschaft“ (www.wissenswerkstatt.net>Denkanstösse). Immerhin kritisiert Herr Scheloske die skandalöse Verfilzung von wissenschaftlicher Medizin, der WHO, Pharmaindustrie und Politik, bedauert dabei jedoch hauptsächlich den dadurch entstandenen Vertrauensverlust in die Wissenschaft. Und dann kommt der Satz, der repräsentativ für die zuvor erwähnte Verwissenschaftlichung unserer Gesellschaft steht: „Ein Misstrauen, <den Wissenschaften gegenüber> das dazu führt, dass sich erwachsene Menschen (solche mit Abitur und Studium gar) etwa Voodoo Praktiken zuwenden und sich ihr privat esoterisches Weltbild zusammenbasteln“. Abgesehen davon, dass hier Voodoo Praktiken in einem Atemzug mit dem privat esoterischen Weltbild genannt werden, ist vor allem letzteres das anscheinend absolut Verwerfliche: sich nämlich selbstständig ein privat esoterisches Weltbild „zusammenzubasteln“ – anstatt das allein gültige und seligmachende wissenschaftliche Weltbild zu übernehmen! Unerhört! Wo kommen wir da hin, wenn sich hier jeder sein eigenes Weltbild „zusammenbastelt“?
Wie weit ist es von dieser Aussage und Einstellung bis zum nächsten Pogrom anders Denkender? Sie sehen, es gibt keine wesentlichen Unterschiede zwischen religiösen Fundamentalisten und jenen, die sich ihr wissenschaftliches Weltbild zusammengebastelt haben.
Gewaltig ist vor allem der indirekte Zwang in Form gesellschaftlich-sozialer Ächtung: wer sich den wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen nicht anschließen bzw. beugen will, wird sofort zum tumben Tor, zum Ignoranten, zum Steinzeitmenschen, Naivling, Schamanen; der wird der Unlogik, des Irrationalen, der Unsachlichkeit oder schlimmsten Aberglaubens bezichtig.
Versuchen Sie nur einmal einem Wissenschaftler zu erzählen, bei Ihnen hätte die Homöopathie funktioniert, und zwar ohne Selbstheilung oder Placebo, und bleiben Sie bei Ihrer Meinung…
Wo Herr X auf Grund seines selbstständigen Denkens zu dem Schluss kommt, dass Homöopathen und reguläre Ärzte ruhig nebeneinander existieren und behandeln können (wie sie das in der Tat zurzeit tun), ist dies vielen Wissenschaftlern – vor allem aber den einäugigen Skeptikern – , auf Grund ihres wissenschaftlichen Denkens unmöglich. Für sie gibt es hier keine Toleranz! Die Homöopathie verstößt gegen die Naturgesetze, ist somit unwissenschaftlich, ist somit Betrug bzw. Quacksalberei und gehört verboten. Ja, alle alternative, unwissenschaftliche Medizin ist des Teufels, und sollte deshalb abgeschafft werden.
Die wenigsten von uns vermuten hinter „wissenschaftlicher Aufklärung“ dieser Art ein Exterminierungsprogramm – aber genau das ist die „Endlösung“ wissenschaftlicher Dogmatik und Intoleranz – genau das ist die „Endlösung“ der einäugigen Skeptiker!